Darüber, wie ich meine Diagnose bekam…

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Blogbeitrag #2

So, nachdem du in meinem letzten Beitrag einen Überblick über mich als Person und meinen beruflichen Weg bekommen konntest, möchte ich dir nun meine eigene Krankheitsgeschichte erzählen. Ich will ehrlich sein, diesen Text zu schreiben aber vor allem hier zu teilen war und ist nicht einfach für mich. Ich weiß, dass es wesentlich schlimmere Schicksale gibt als meines und, dass andere Frauen wesentlich mehr unter der Krankheit zu leiden haben/hatten, denn auch ich habe mich natürlich bei meiner eigenen Auseinandersetzung mit meiner Diagnose damals, viel mit den Geschichten anderer Betroffenen auseinandergesetzt. Dabei habe ich von Frauen gelesen, die ihre Diagnose teilweise erst nach 40 Jahren erhalten haben und bei denen das Lipödem mittlerweile mit vielen Neben- und Folgeerkrankungen einhergeht. Aber auch von alleinerziehenden Müttern, die sich eine operative Behandlung beim besten Willen nicht leisten können, auch wenn sie diese schon lange bräuchten und wollen. Neben all diesen traurigen und schlimmen Schicksalen kam mir meine Situation so oft ganz harmlos und unwichtig vor. Lange traute ich mich nicht, in eine Selbsthilfegruppe zu gehen, weil ich mir mit meinen Beschwerden und Sorgen wie ein Witz vorkam und ich Angst hatte, andere würden mich verurteilen. Ich hatte die Angst, dass ich dort Fehl am Platz bin, weil meine Beschwerden nicht schlimm genug seien. Aber wann sind sie eigentlich schlimm genug? Viel zu oft habe ich mir selbst meine Schmerzen und Ängste nicht zugestanden. Aber was ich dabei oft vergessen habe: für mich waren sie sehr schlimm. Wir vergleichen uns viel zu sehr mit anderen. Von klein auf wird uns deutlich gemacht, dass es immer jemanden gibt, dem es schlechter geht als uns. Dadurch wächst in uns die Überzeugung, dass wir unsere Sorgen und Ängste aber auch unsere Schmerzen nicht mehr zulassen dürfen und ihnen keinen Raum geben dürfen. Es wächst die Angst vor Verurteilung durch andere, wenn wir es eben doch tun und unsere Bedürfnisse zulassen und aussprechen. Aber das sollte nicht sein! Wir alle haben das Recht darauf, uns so zu fühlen, wie wir uns eben fühlen, und zwar unabhängig davon, ob es anderen schlechter geht. Lasst uns deshalb versuchen, uns wieder selbst wahrzunehmen und unsere Gefühle zuzulassen. Denn nur wenn wir diese zulassen können wir sie auch loslassen und dadurch erreichen, dass es uns wieder gut geht. Lasst uns uns auch gegenseitig wahrnehmen, uns unterstützen und uns Raum geben für unsere eigenen Geschichten und Erfahrungen. Lasst uns gegenseitig unvoreingenommen und wertfrei begegnen. Lasst uns gegenseitig akzeptieren!

Warum ich meine Geschichte mit dir teile? Zum einen, weil ich dir zeigen möchte, dass wir alle dazu berechtigt sind, unsere Geschichte zu teilen, egal wie schlimm oder nicht schlimm sie im Vergleich zu den Geschichten anderer aussehen mag. Zum anderen finde ich es wichtig, damit du weißt, welche Erfahrungen ich gemacht habe und so mein Verhalten besser nachvollziehen kannst. Außerdem hoffe ich, dass du dich damit verstanden fühlst und merkst, dass du mit deinen Sorgen und Ängsten nicht alleine bist. Vielleicht hast du ja ähnliche Gedanken wie die, die ich eben beschrieben habe oder hast das ein oder andere ähnlich erlebt wie ich. Vielleicht unterscheiden sich unsere Erfahrung auch hier und da. Das alles ist völlig normal und ok. Du musst nicht alles so gefühlt und wahrgenommen haben wie ich und wenn du etwas anderes wahrgenommen hast, dass ich jetzt nicht beschreibe, dann heißt das nicht, dass es keine Berechtigung hat. Teile deine eigenen Erfahrungen gerne in den Kommentaren mit anderen, wenn du magst. Eventuell wird es in der Zukunft auch eine Rubrik auf diesem Blog für eure Erfahrungsberichte geben. Schreibe mir gerne eine Mail mit dem Betreff >Erfahrungsbericht<, wenn du deine Erfahrungen auf diesem Weg mit anderen teilen möchtest.  

So jetzt aber zu meinen Erfahrungen. Wenn ich mich auf ein Datum festlegen müsste, wann alles begann, dann würde ich sagen irgendwann 2016. Wahrscheinlich liege ich damit aber voll daneben, denn viele Symptome, die ich heute weiß, habe ich lange Zeit gar nicht als solche gesehen. Dazu aber später mehr.

Seit ich mich zurückerinnern kann habe ich meinen Körper als eher stämmig wahrgenommen. Meine Beine waren mir dabei ganz besonders ein Dorn im Auge, denn für mich waren sie schon immer „zu dick“. Nicht unbedingt im Vergleich zu meinem restlichen Körper -das fing erst vor ein paar Jahren an- sondern im Vergleich mit denen von meinen Freunden oder anderen Mädchen, die ich auf der Straße gesehen habe. Rückblickend komme ich mir manchmal echt blöd vor, wenn ich alte Fotos anschaue und mich frage, warum ich mich damals so gefühlt habe, denn im Vergleich zu heute sahen meine Beine damals echt normal und gut aus. Trotzdem mache ich mich dafür nicht schlecht, denn ich habe mich damals so gefühlt und jedes Gefühl hat seine Daseinsberechtigung. Aber so richtig wahrgenommen, das etwas nicht stimmt, habe ich im Jahr 2016. Damals fing es an, dass sich meine Beine abends im Bett komisch angefühlt haben. Das Problem war, dass ich dieses „komische Gefühl“ ganz schwer in Wort fassen konnte. Ich konnte es nicht erklären, konnte meinen Schmerz nicht lokalisieren. Es war einfach komisch, so ein kribbeln, dass immer dann anfing, wenn ich zur Ruhe kam. Oder vielleicht doch, wie wenn meine Beine abgeschnürt wären, wie wenn man Blutabgenommen bekommt. Ich kann nicht sagen, bei wie vielen Ärzten ich über die Jahre war. Von meinem Hausarzt bis zu Neurologen. Keiner konnte mir sagen, was mit mir nicht stimmt. Bis ich nach knapp 4 Jahren der Ärzteodysee ein Erfahrungsbericht über das Lipödem auf Youtube entdeckte. Ich war fassungslos, alle Symptome passten und nicht nur die die ich bis dahin kannte, sondern auch viele weitere die ich gar nicht als solche wahrgenommen hatte. Blaue Flecken? Ja das ist doch normal, dachte ich mir. Und die styroporartigen Knötchen unter der Haut sind halt bei mir so. Auch das sich meine Beine so schwer anfühlten dachte ich sei normal, wenn sie eben dicker sind. Und meine Druckempfindlichkeit? Ja ich bin eben sensibel dachte ich mir. Bis zu diesem Zeitpunkt, an dem ich begriff, dass alles zusammenhängt. Alles ergab plötzlich einen Sinn. Ich war so erleichtert und gleichzeitig unsicher, weil ich noch nichts über diese Krankheit wusste. Die darauffolgenden Wochen kümmerte ich mich um einen Arzttermin für die Diagnoseabklärung -was sich als echte Herausforderung herausstellte, denn leider gibt es nicht viele Ärzte, die darauf spezialisiert sind-, ich las Erfahrungsberichte und eignete mir Wissen an. Ich weiß noch, dass es mir gar nicht gut ging in dieser Zeit. Ich war hin und her gerissen, ob ich nun erleichtert sein soll weil es keine lebensbedrohliche Krankheit ist, ich endlich weiß, was mit mir nicht stimmt, und ich durch eine Operation scheinbar viel verbessern kann. Gleichzeitig war ich mir ja immer noch nicht sicher, ob ich tatsächlich an einem Lipödem leide. Was wenn doch nicht? So schlimm sehen meine Beine ja auch nicht aus… Bilde ich mir alles nur ein? Diese Gedanken wurden nicht unbedingt besser, je mehr Ärzte ich aufsuchte. Ein Hautarzt -zu dem ich musste, um mir eine Überweisung für eine Klinik zu besorgen- ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben. „Also das kann ich mir bei Ihnen nicht vorstellen. Wissen Sie eigentlich wie das aussieht?, fragte er mich während er seine Arme weit auseinander riss um mir aufzuzeigen, dass die Beine betroffener Frauen um einiges dicker seien als meine. Solche Erfahrungen haben mich stark verunsichert. Aber ich blieb dran. Schließlich gibt es ja nicht ohne Grund auch verschiedene Stadien und mir war klar, dass ich kein Stadium 3 habe. Dennoch „explodieren“ die Beine ja nicht über Nacht und auch ein Lipödem im Stadium 1 kann schon sehr schmerzhaft und belastend sein. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube drei Monate nachdem ich dieses Video auf Youtube gesehen habe, bekam ich meine Diagnose: Lipödem im Stadium 1. Aber selbst nach der Diagnose machte ich mir noch Sorgen darüber, ob das wirklich stimmt. Nicht, weil ich dem Arzt nicht traute, sondern weil ich es mir „nicht zugestand“ an einem Lipödem zu leiden, wenn es doch noch nicht „so schlimm“ ist. Ich versuchte also mir eine Zweitmeinung einzuholen, doch leider fand ich keinen Arzt mehr, der darauf spezialisiert ist. Ich weiß nicht, ob ich mich besonders doof bei der Suche angestellt habe, aber es fiel mir wirklich schwer, einen Überblick zu bekommen. Dazu kam, dass mittlerweile Ende Oktober war und wir unsere geplante Weltreise (siehe Blogbeitrag „Darüber, wer ich eigentlich bin…“) bereits Anfang Dezember starten würden. Ich versuchte also die Diagnose anzunehmen und damit umzugehen. Das einzige was ich zu dieser Zeit machen konnte, war mir Strumpfhosen zu besorgen, um unterwegs die Hoffnung auf Schmerzlinderung zu haben.

Zu meiner Zeit auf Reisen gibt es nicht viel zu sagen. Ich quälte mich fast täglich in die Kompressionsstrumpfhosen und ertrug die Hitze -wir waren in Südamerika. Unsere Reise mussten wir dank der weltweiten Pandemie vorzeitig -nach nur drei statt 12 Monaten- abbrechen. Das einzig positive daran war, dass ich meine gewünschten Operationen nach vorne verlegen konnte. Warum ich mich überhaupt für die operative Behandlung entschied, möchte ich in einem der nächsten Beiträge schreiben, denn dieser ist jetzt schon viel länger geworden als ich dachte. Falls du noch mehr über meine Lipödemgeschichte lesen möchtest, dann schau hier in meinem nächsten Beitrag vorbei. Ich habe mich nämlich dazu entschieden, auch meinen Antrag auf Kostenübernahme der Liposuktionen bei meiner Krankenkasse mit dir zu teilen. Ich erhoffe mir davon, dir schonmal ein bisschen die Angst zu nehmen falls du in der Zukunft selbst einen eigenen Antrag an deine Krankenkasse stellen möchtest. Außerdem wirst du dort nochmal einen sehr guten Einblick in meine Gefühlslage bekommen.

Bis dahin! Alles Liebe und pass auf dich auf!

Deine Sarina

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