Blogbeitrag #3
In diesem Beitrag möchte ich meinen Antrag auf Kostenübernahme der Liopsuktion bei Lipödem mit dir teilen. Ich denke es geht aus meinen Schilderungen deutlich hervor, warum ich mich für die operative Behandlung meines Lipödems entschieden habe. Dennoch ist mir zu Beginn nochmal wichtig zu erwähnen, dass der nachfolgende Text nur meine individuelle Erfahrung und meine daraus resultierende Meinung widerspiegelt. Er soll dir meine Situation veranschaulichen und dir einen Einblick in meine Gedanken und Emotionen geben. Die Erkrankung Lipödem wirkt sich bei jeder Betroffenen sehr individuel aus, ist mit unterschiedlichen Symptomen und Erfahrungen sowie Reaktionen des Umfelds verbunden, dass ich hier keine keine Verallgemeinerungen treffen kann und möchte. Es ist mir wichtig, dass du dich durch den nachfolgenden Text nicht angegriffen oder schlecht fühlst, wenn du Schmerzen oder Folgeerkrankungen hast, die ich nicht habe und im Text als nicht erstrebenswert beschreibe. Außerdem ist es genauso legitim, wenn es für dich der richtige Weg ist, dein Lipödem mit Kompressionsbestrumpfung und Manueller Lymphdrainage zu behandeln. Die Operation ist lediglich für mich die beste Lösung aber das muss nicht für alle so sein. Ich habe mich dazu entschieden, diesen sehr sensiblen und persönlichen Text mit dir zu teilen, weil ich hoffe, dass du dich damit nicht mehr so alleine fühlst. Außerdem hoffe ich, dass ich Frauen eine Inspiration sein kann, die gerade vor der großen Aufgabe stehen, selbst ihren Antrag zu schreiben. Ich hoffe es kann dir als Orientierungshilfe dienen, an der du dich langhangeln kannst, wenn du nicht weißt wie du anfangen oder weitermachen sollst. Damit du einfach mal gesehen hast, wie so ein Antrag aussehen kann, denn das hätte ich mir damals sehr gewünscht und leider nicht gefunden. Kurz noch zur zeitlichen Einordung: den Antrag habe ich im August 2020 geschrieben. Wenn du wissen möchtest, wann und wie ich meine Diagnose bekommen habe, dann schau bitte hier in meinem letzten Beitrag vorbei, dort habe ich den zeitlichen Ablauf nochmal im Detail erklärt. Alles rund um meinen Weg von meinem Wunsch bis zu den tatsächlichen Liposuktionen werde ich in einem der nächsten Beiträge mit dir teilen. So nachfolgend jetzt aber zu meinem Antrag:
„Hallo liebes Krankenkassen Team. Mein Name ist Sarina und ich habe ein Lipödem im Stadium 1. „Stadium 1?“ denken Sie nun… Das ist klar, der Antrag muss gar nicht durchgelesen werden, der wird auf jeden Fall abgelehnt. Aber Moment! Da liegt meiner Meinung nach schon das erste Problem: die Einteilung der verschiedenen Stadien aufgrund des äußerlichen Erscheinungsbildes. Es ist Ihnen mit Sicherheit bekannt, dass die Ausprägung der Schmerzen von Frauen mit Lipödem nicht anhand der Stadien festzumachen ist. Frauen im Stadium 1 haben oftmals schon länger und/ oder sehr viel mehr Schmerzen als bspw. Frauen im Stadium 2. Ich möchte Ihnen daher auf den folgenden Seiten meine eigene Geschichte erzählen:
Am 16. Oktober 2019 bekam ich die Diagnose Lipödem. Um welche Krankheit es sich hier handelt muss ich Ihnen mit Sicherheit nicht erklären. Ich bin mir sicher, dass Sie in den letzten Jahren schon einige dieser Anträge erhalten haben und sich mit der Thematik bereits befasst haben.) Zu diesem Zeitpunkt, also im Oktober letztes Jahr, hatte ich bereits drei Jahre Schmerzen an den Beinen und seit kurzem auch an den Armen. Wie Sie meiner Krankenakte entnehmen können war ich diesbezüglich in den besagten drei Jahren bereits bei über zehn Ärzten mit teilweise unterschiedlichen Fachrichtungen. Dies stellte selbstverständlich zum einen, einen enormen Zeitaufwand dar. Zum anderen aber auch eine sehr starke psychische Belastung. Sie müssen sich vorstellen, meine Beinschmerzen waren für mich lange Zeit sehr undefinierbar. Ich konnte die Schmerzen weder genau beschreiben noch genau lokalisieren. Dementsprechend schwer war es auch für die Ärzte, die Ursache dafür herauszufinden. 3 Jahre wurde hinter meinen Beinschmerzen ein neurologisches Problem vermutet. So suchte ich regelmäßig verschiedene Neurologen auf, die sich allerdings auch nie einig waren. Das Gefühl zu wissen, dass mit dem eigenen Körper etwas nicht stimmt und keine Begründung dafür zu bekommen, ist auf Dauer äußerst belastend. Über Jahre musste ich mit dieser Ungewissheit leben. Da ist es normal, dass man anfängt vom Schlimmsten auszugehen. Als dann noch die gleichen Schmerzen in den Armen losgingen fing ich an komplett an mir zu zweifeln, weil ich dachte das kann noch jetzt nicht sein, die Schmerzen waren doch immer nur in den Beinen. Andere Symptome des Lipödems hatte ich zu dieser Zeit auch schon lange, aber ich wusste nicht, dass sie mit meinen Schmerzen in Verbindung stehen. So erklärte ich mir meine starke Druckempfindlichkeit damit, dass ich einfach sensibel sei. Blaue Flecken? Ja das ist doch normal, dachte ich mir. Und die styroporartigen Knötchen unter der Haut sind halt bei mir so. Auch das sich meine Beine so schwer anfühlten dachte ich sei normal, wenn sie eben dicker sind. Und was ist eigentlich mit der Tatsache, dass ich stetig Gewicht zunahm trotz gesunder Ernährung und regelmäßigem Sport? Insgesamt denke ich, dass sich das Lipödem bei mir sehr langsam entwickelt hat. Wenn ich mich jetzt versuche zurück zu erinnern, dann würde ich sagen, dass meine Beine anfingen immer dicker und delliger zu werden, als ich 15/16 Jahre alt war. Seit ich mich zurückerinnern kann, sind meine Beine meine größte Unsicherheit. Ich konnte mich nie so annehmen, wie ich bin. Ich habe immer gegen meinen Körper gearbeitet. Wenn ich mir jetzt Bilder anschaue, wo ich weiß, dass ich damals dachte ich hätte dicke Beine, kann ich es nicht mehr verstehen. Damals waren meine Beine im Vergleich zu heute so dünn und ich wäre froh, wieder an dem Punkt zu sein, an dem ich damals schon so hilflos und unglücklich war. Mein Kopf sagt mir ständig, dass ich viel zu dick bin, um irgendwas erreichen zu können. Der Gedanke sitzt schon so tief, dass ich oft an nichts anderes denken kann, als „Jeder schaut gerade auf meine Beine.“ Jedes Mal, wenn ich ein Foto von mir sehe, will ich einfach nur weinen, weil ich mich so hässlich finde. Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaue geht es mir ähnlich. Auch von meinem Umfeld bekam ich seit Jahren immer wieder zu hören, dass ich schon wieder zugenommen hätte. Diese ganzen Dinge machen etwas mit einem. Sie führen zu psychischen Problemen und Depression. Ich würde mich allgemein schon als selbstbewusste Person beschreiben. Hinsichtlich meines Körpers bin ich es allerdings überhaupt nicht.
Auch meine Beziehung leidet darunter Tag täglich. Es gibt Phasen, in denen will ich nicht von meinem Freund angefasst werden und nicht, dass er mich ohne Kleidung sieht. So oft frage ich ihn, warum er überhaupt mit mir zusammen ist, obwohl ich doch so hässlich bin. Dann habe ich wiederum Angst, dass er es irgendwann auf jeden Fall so sieht, wenn ich es ihm immer wieder sage. Dazu kommen meine Schmerzen. Wenn er mich berührt, tut es einfach immer so weh.
Neben der Belastung für meine Beziehung habe ich noch einige andere Einschränkungen im Alltag. Der Grund warum ich damals, vor vier Jahren anfing verschiedene Ärzte aufzusuchen, war weil meine Beinschmerzen vor allem abends aufgetreten sind, als ich im Bett lag. Durch die Schmerzen lag ich teilweise jede Nacht drei oder vier Stunden wach im Bett und konnte nicht einschlafen. Fast täglich musste ich nach mehreren Stunden meinen Freund wieder wecken, damit er mir kalte Wickel macht und/ oder meine Beine massiert. Auch heute noch gibt es diese Nächte. Ich leide an Schlafmangel, bin den ganzen Tag müde und schaffe dadurch meine täglichen Aufgaben nicht. Dies führt dazu, dass ich abends unzufrieden und enttäuscht bin und denke, dass ich nicht gut genug bin. Auch körperlich fühle ich mich stark eingeschränkt. Durch das Schweregefühl in meinen Beinen bin ich nach wenigen Treppenstufen so kaputt, dass ich eine Pause machen muss. Beim Fahrradfahren schaffe ich es oftmals nicht den Berg hochzufahren. Insgesamt fühle ich mich einfach so schwer, das kann man denke ich nicht nachvollziehen, wenn man nicht selbst betroffen ist. Ich wünsche mir so sehr, mal einen Handstand oder Kopfstand machen zu können. Aber auch das geht momentan einfach nicht, weil ich meine Beine nicht alleine hochbekomme.
Nun zu meiner Sport- und Ernährungsgeschichte. In den letzten Jahren habe ich wirklich alles versucht. Ich war so verbissen. Habe gehungert und hatte keinen Spaß mehr am Essen. Habe mehrere Fitnessprogramme abgeschlossen und über mehrere Monate durchgezogen. Habe mich an vorgegebene Essenspläne gehalten. Habe mich gezwungen komplett auf Zucker zu verzichten. Habe verschiedene Diäten probiert. Habe Saftkuren versucht. Das alles habe ich auf mich genommen, weil ich mich einfach endlich wohlfühlen wollte in meinem Körper. Aber wissen Sie was? Nichts hat geholfen. Am Oberkörper, speziell am Bauch und an der Taille konnte ich immer relativ schnell Fett verlieren. Auch der Muskelaufbau funktioniert bei mir recht schnell. Aber meine Beine blieben von allem immer unbeeindruckt und wollten kein Gramm Fett, keinen cm Umfang verlieren. Heute mache ich drei Mal die Woche Sport, mache eine Weiterbildung zur zertifizierten veganen Ernährungsberaterin und ernähre mich daher sehr gesund und ausgewogen und mache Intervallfasten. Ich kann also guten Gewissens sagen, ich habe alles versucht und ich versuche es weiterhin. Es liegt nicht an mir. Doch auch, wenn ich das jetzt weiß, habe ich diese Tatsache noch nicht verinnerlicht. Zu tief sind die alten Glaubenssätze verankert und zu groß ist immer noch meine Unsicherheit. Es ist immer noch ein täglicher Kampf, den ich mit mir selbst führe, mich endlich in meinem Körper wohlzufühlen.
Zuletzt möchte ich Ihnen noch erzählen, wie es am Ende zu der Diagnose Lipödem kam und wie ich mich seitdem fühle. Auf die richtige Diagnose musste ich am Ende selbst kommen. Durch Zufall entdeckte ich online ein Video, indem eine Frau genau meine Symptome beschrieb. Als ich mich daraufhin einem Phlebologen vorstellte bekam ich direkt die Diagnose Lipödem. Damals endlich eine Diagnose zu haben, die alle Symptome erklärt war eine große Erleichterung für mich. Zumal ich teilweise nicht einmal wusste, dass einige Dinge Symptome einer Krankheit darstellen. Ich litt jahrelang unter dem Gefühl selbst schuld zu sein immer mehr zuzunehmen. Das Umfeld macht es einem dabei nicht unbedingt leichter. Man bekommt zu hören, dass man einfach mal Sport machen sollte und weniger Kalorien essen. Ich habe mir jahrelang Vorwürfe gemacht und an mir selbst gezweifelt. Das Problem am Lipödem ist allerdings, dass die Fettzellen krank sind. Sie reagieren weder auf Sport noch auf Ernährung. Das heißt es war nie meine Schuld, dass meine Beine dicker wurden. Ich konnte überhaupt nichts daran ändern. Man könnte meinen, dass es mir nach der Diagnose nun besser geht, aber tatsächlich hat mich diese wieder sehr aufgewühlt. Die Gefühle, die ich jahrelang versucht habe zu verdrängen sind damit wieder hochgekommen. Ich erwarte nicht, dass sie meine Lage verstehen. Das ist schlichtweg wahrscheinlich gar nicht möglich, wenn man nicht selbst betroffen ist. Ich hoffe nur, dass sie sehen, wie belastend die Situation für mich ist. Nach der Diagnose habe ich mich selbstverständlich ziemlich viel mit der ganzen Thematik beschäftigt. Bis heute nimmt sie einen großen Teil meines Lebens ein.
So jetzt kennen Sie meine Geschichte. Ehrlich gesagt finde ich es sehr schade, dass ich so private Dinge hier offenlegen muss. Die Dinge, die ich hier schreibe, sind mir so unangenehm, dass ich sie niemandem sonst zum Lesen geben werde. Darüber hinaus ist es sehr erniedrigend Fotos in Unterwäsche einer wildfremden Person zu schicken. Aber es scheint notwendig zu sein, nur um am Ende trotzdem eine Ablehnung zu bekommen.
Ich stelle mir meine Zukunft anders vor und das Leben ist meiner Meinung nach zu kurz, um solche Leiden vorsätzlich ertragen zu müssen. Ich bin 24 Jahre alt. Ich bin realistisch, die Kosten für meine Operation werde ich wahrscheinlich nicht von Ihnen übernommen bekommen. Dennoch nehme ich mir die Zeit und schreibe Ihnen diesen Brief, denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber ich schreibe diesen Brief nicht nur für mich. Ich schreibe ihn auch für alle anderen Betroffenen, vor allem für die, die sich die enormen Kosten für die Operationen nicht leisten können. Aber kann ich mir diese überhaupt leisten? Nein. Für die erste Operation werde ich fast meine kompletten Ersparnisse aufbrauchen müssen. Bei den anderen beiden weiß ich noch nicht, wie ich sie finanzieren kann. Aber das ist unser System: Junge Frauen wie ich müssen all ihr jahrelang erspartes Geld aufbrauchen, weil wir keine Unterstützung bekommen. Danach stehen wir mit nichts da. Seit Wochen habe ich schon Existenzängste und weiß nicht, wie ich diese enormen Kosten stämmen soll. Ist meine Krankenkasse, also Sie, nicht dafür da, mir zu helfen, wenn ich Schmerzen habe? Sind Sie nicht dafür da, mich zu unterstützen, wenn ich verletzt bin? Ich würde mir so sehr wünschen, zu wissen, dass Sie hinter mir stehen und sich ganz besonders dafür einsetzten, dass es mir gut geht. Denn das geht es momentan nicht. Mir geht es nicht gut. Mir geht es seit vielen Jahren nicht gut. Mir wird es noch lange nicht gut gehen. Aber Sie haben die Möglichkeit das zu ändern. Bitte helfen Sie mir.
Liebe Grüße und alles Gute
Sarina Sommerauer“
Zum Abschluss fragst du dich sicher, ob mein Antrag bewilligt wurde. Nein, wurde er leider nicht. Das hatte verschiedenen Gründe, auf die ich eventuell in einem späteren Beitrag näher eingehen werde. Wenn du Fragen hast, wie der Prozess der Antragstellung abläuft, kann ich dir die Beiträge von Steffi alias myrasnöflinga von Herzen sehr empfehlen. Hier kommst du auf ihre Website.
Bis zum nächsten Mal! Alles Liebe und pass auf dich auf!
Deine Sarina
Pingback: Darüber, wie ich meine Diagnose bekam... - Lipödem im Kopf